Montag, 12. Oktober 2009
Aus dem Ring - in den Ring

The Wrestler

USA 2008
R: Darren Aronofsky
105 Min.

Selten wurde das Comeback eines Schauspielers so bestaunt und - zu Recht - gefeiert, wie das von Mickey Rourke in Darren Aronofskys grandiosen The Wrestler. Dass diese Rolle wie für ihn geschaffen scheint, weil es so viele offensichtliche Parallelen zwischen dem Scheitern des Protagonisten und dem Niedergang des Darstellers in den Neunziger Jahren gibt, ist dabei allerdings nur eine Nebensächlichkeit. Denn was The Wrestler seine ungeheure Wucht und Glaubwürdigkeit verleiht, ist weniger der Realismus, mit dem auch die tiefsten Niederungen des Wrestling dargestellt werden (wer nicht glaubt, dass es so viel Blut im Ring wirklich gibt, sollte mal nach 'Combat Zone Wrestling' googlen...), es ist auch nicht allein die Tragik, mit der Leiden, Triumph und Scheitern dramaturgisch meisterhaft in Szene gesetzt werden - auch wenn einem beides mit äußerster Schonungslosigkeit um die Ohren gehauen wird. Nein, was The Wrestler so gelungen macht, das ist fast allein die schauspielerische Leistung Mickey Rourkes, die ihm in dieser Güte wohl kaum jemand (mehr) zugetraut hat.

Man denkt zu keinem Zeitpunkt: "Mickey Rourke spielt einen Wrestler". Man denkt auch nicht "Mickey Rourke spielt einen Wrestler" und man verbaut sich viel, wenn man das Schicksal Rourkes ständig im Hinterkopf behält, während man teilhat am tragischen Schicksal Randy 'The Ram' Robinsons, einem Wrestler, der nach gefeierten Triumphen in den Achtzigern noch einmal in den Ring zurückkehrt, nicht, weil ihm langweilig ist, sondern weil er nichts anderes wirklich kann und in der Welt außerhalb des Rings nicht zurechtkommt. Und weil er das Geld, dass es dafür nicht gerade üppig gibt, dringend braucht. Nein, Rourke spielt, aber was ausbleibt, ist das Gefühl, dass gespielt wird - im Sinne Roland Barthes' fehlt der 'Stumpfe Sinn', der die Darstellung als Darstellung entlarvt - was nicht heißen soll, The Wrestler trüge Züge eines Doku-Dramas, denn das ist zu keinem Zeitpunkt der Fall. Aber man nimmt Rourke die Rückenschmerzen ab, man sieht die Folgen jahrelangen Anabolika-Mißbrauchs, zu viel Alkohols und unendlicher Enttäuschungen in Gesicht und Leib des Protagonisten als echte, authentische Erscheinungen. Und man nimmt sie für voll, nicht nur als Chiffre, die für etwas dahinterliegendes steht, sondern erlebt und erleidet sie mit. Dass das gelingt, ist einer schauspielerischen Leistung geschuldet, die man nicht genug würdigen kann. Denn obwohl Rourkes Mimik durch Botox, Alkohol und wer-weiß-was-noch-alles erheblich eingeschränkt ist, gelingt es ihm, allein schon mit leisesten mimischen und gestischen Andeutungen einen tiefen Blick in das fragile Innere des alternden Ringers zu ermöglichen und die Würde und Authentizität, mit der er dabei agiert, ist schlicht überwältigend.

Man möchte sich wünschen, dass Rourkes' Rückkehr in den Ring anders ausgeht, als für Randy 'The Ram' Robinson. Und um so mehr, dass auch das Leben außerhalb des Lebens weniger Verletzungen für ihn bereit hält, als es in den vergangenen Jahren wohl der Fall gewesen ist. Denn dann stünde zu hoffen, dass es mehr gibt, als dieses grandiose Comeback.

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Sonntag, 27. September 2009
Die Angst vor der Selbstauflösung

Antichrist

Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweden, Italien, Polen 2009
R: Lars von Trier
104 Min.

Das Gezeter war absehbar und vermutlich auch vom Regisseur intendiert. Es ist eine traurige Folge der kulturindustriellen Vermarktung, dass die wenigen sehr guten und ausgezeichneten Filme, die nicht den Konventionen des kommerziellen Mainstream-Kinos folgen, mit drastischen Bildern schockieren müssen, weil sie sonst vom Gros des Publikums gar nicht erst wahrgenommen werden. Das war bei Gaspar Noés großartigem Irreversible so und das ist auch bei Lars von Triers nicht minder großartigen Antichrist der Fall. Dabei bräuchte von Trier diese (wenigen) Schockbilder - ich fasse kurz zusammen: Genitalverstümmelung, Beinverletzung, abgestorbene Tierföten - überhaupt nicht; Antichrist wäre auch ohne Blut ein phantastischer Film.

Dass das so ist, ist vor allem der schauspielerischen Leistung der beiden Darsteller - Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe - geschuldet. Mit einer unwahrscheinlichen Intensität und dem Mut zur Selbstentblößung (und damit ist nicht allein Nacktheit gemeint) spielen sie ein Paar, welches den Verlust des gemeinsamen Kindes in einer abgeschiedenen Waldhütte in Selbsttherapie aufzuarbeiten sucht. Sie ist hochgradig depressiv und psychotisch, er ist Psychotherapeut - dass das nicht gutgehen kann, ist so sicher, wie das Amen in der Kirche, die auch im Wald allgegenwärtig ist. Der Wald als Gegenmetapher zur Sicherheit der Zivilisation, als Ort der Ängste und des Unbewussten, das ist allerdings nicht nur Teil einer erzkatholischen Ikonographie (wie die Protagonistin selber anmerkt: Die Natur ist Satans Kirche), sondern ein Element, welches sich wie ein roter Faden durch die abendländische Literatur des 20. Jahrhunderts zieht (Homo Faber, Masse und Macht etc.). Ebenso abendländisch ist die spezifisch männliche Angst vor der weiblichen Sexualität, die von Trier in allerdings drastische Bilder zu fassen vermag.

Dass diese Mélange aus Katholizismus und tiefenpsychologischen Clichés zu keinem Zeitpunkt auch nur annährend lästig wird, hängt damit zusammen, dass die Ängste, die von Trier inszeniert und zelebriert, Ängste sind, die eng mit der menschlichen Existenz an sich zusammenhängen: Angst vor Selbstverlust, Angst vor Selbstauflösung, Angst vor Verletzung und immer wieder Schuld, Schuld, Schuld. Diese sind zuvorderst Grundkonstanten der conditio humana und nicht an eine spezifisch religiöse Sichtweise gebunden. Aus diesem Grund wirkt Antichrist so heftig, und ich wage zu behaupten: bei jedem, der den Mut mitbringt, sich auf ihn einzulassen.

Was weitaus schwerer in Worte zu fassen ist, das ist die unheimliche Schönheit der Bilder, die Lars von Trier inszeniert und die den Betrachter viel unmittelbarer und nachhaltiger treffen, als die wenigen Schockszenen, auf die man im Grunde ja auch vorbereitet ist. Natürlich muss sich von Trier angesichts dieser Bilder fragen lassen, ob er Frauen hasst (ja, tut er) ob er Angst vor der Hölle hat (hat er bestimmt) und ob es ihm in den letzten Jahren möglicherweise alles andere als gut ging (ging es ihm nicht). Und natürlich ist eine solche Form der Selbsttherapie - von Trier litt an einer schweren Depression - fragwürdig und nicht alles, was von Trier dem Zuschauer zeigt, will dieser auch wirklich sehen respektive wissen.

Aber wenn man sehen will, wie Kino sein kann, wenn sich jemand der Sache annimmt, der es richtig kann, dann sollte man sich Antichrist nicht entgehen lassen.

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Donnerstag, 25. Juni 2009
Blood, Tea & Red String
Blood, Tea & Red String

Blood, Tea & Red String

USA 2006
R: Christiane Cegavske
70 Min., Cinema Epoche

Es gibt Filme, die man sofort ins Herz schließt. Nicht so sehr, weil sie besonders liebenswerte oder anrührende Geschichten erzählen, sondern weil man ihnen die ganze Mühe und das ganze Herzblut ansieht, die ihr Erschaffer ihnen gewidmet hat. Eraserhead (David Lynch, USA 1977) ist so einer, sowie Wenzel Storchs Sommer der Liebe (D 1992) und natürlich dessen opus magnum Die Reise ins Glück (D 2005). In gewisser Hinsicht gehören auch die Arbeiten des frühen Peter Jackson - insbesondere Meet the Feebles (NZL 1989) - in diese Reihe, auch wenn Jackson bekanntermaßen bereits ab seinem zweiten Spielfilm auf ein vergleichsweise komfortables Budget zurückgreifen konnte.

All diesen Filmen ist gemein, dass sie unter widrigsten Umständen und mit minimalstem Budget entstanden sind und in jeder Filmminute augenscheinlich wird, dass es einzig und allein der Beharrlichkeit ihrer Erschaffer zu verdanken ist, dass diese Kleinode der Filmgeschichte überhaupt zu Ende gebracht werden konnten. Filme, die gemacht werden müssen, ganz gleich, ob sie einen sogenannten 'Markt' haben, sich 'rechnen' oder 'floppen'. Diese Kategorien zählen bei dieser Sorte Film nicht, sie sind angesichts der wahren und erhabenen Größe solcher Filme als Kriterien geradezu lächerlich. Kino, das man nicht in Geld umrechnen kann - obgleich man es seinen Erschaffern so sehr wünschen würde, dass ihre Filme ihnen wenigstens ein komfortables Überleben sichern. Bei David Lynch hat das ja schon mal einigermaßen geklappt, von Peter Jackson wollen wir lieber gar nicht erst reden. Er ist zumindest der schlagende Beweis dafür, wie ungünstig sich ein wachsendes Budget auf die Qualität des Endproduktes auswirken kann...

Dieser mein persönlicher Olymp des Liebhaber-Cinemas hat Zuwachs bekommen. Und ginge es allein um die Zahl der Jahre, die ein Künstler in sein Kunstwerk investiert, dieser Film würde ohne Umschweife auf Platz eins stehen, denn Christiane Cegavske hat sage und schreibe dreizehn (!) Jahre ihres Lebens investiert, um uns ein 70 Minuten dauerndes Traumgebilde in Stop-Motion Technik zu kredenzen, dass sie samt und sonders allein erdacht, gebastelt, genäht, gemalt, gedreht und geschnitten hat. Abgesehen von der feinen und sehr fragil wirkende Filmusik alles allein. Dreizehn Jahre lang. In Stop-Motion. Wie sehr muss man (s)einen Film lieben, um das durchzustehen? Eine schier unglaubliche Leistung.

Blood, Tea & Red String erzählt die seltsame Geschichte einer Familie eigenartiger Schnabelwesen mit Fell und Schweineohren, die unter einem Baum leben und sich durch eine Art liebenswürdiges Krähen verständigen (im ganzen Film wird kein einziges Wort gesprochen). Eines Tages werden sie von rotäugigen Ratten oder Mäusen mit aristokratischem Gebahren zum Bau einer menschenähnlichen Puppe angehalten, die sie nach Fertigstellung aber nicht herausrücken möchten, auch dann nicht, als die Ratten den vereinbarten Preis erheblich erhöhen. Den Ratten aber ist an dieser Puppe derart gelegen, dass sie selbige bald darauf entführen. Aber auch den eigenartigen Schnabelwesen ist diese Puppe sehr ans Herz gewachsen, so sehr, dass sie sich unverzüglich mit einer Delegation aufmachen, die Puppe aus den Händen der Ratten zu befreien. Was dann folgt, ist eine merkwürdig symbolstarke, teilweise leicht psychedelische und immer höchst eigenartig anmutende Reise durch ein seltsames Land, an deren Ende etwas steht, von dem ich gar nicht so genau weiß, ob es ein Happy-End ist; jedenfalls sehen die Schnabelwesen, die man sofort lieb hat, dabei nicht wirklich unglücklich aus.

Der Film ist dabei voller Symbole, die man nicht ohne weiteres entschlüsseln kann, aber, glaube ich, auch gar nicht entschlüsseln muss. Es genügt schon, einfach nur zu staunen über die eigenartige Welt, die sich da vor einem auftut. Darin ähnelt Blood, Tea & Red String äußerst stark den Filmen des großen David Lynch und an manchen Stellen wird Lynch auch ganz konkret zitiert. Was bei Lynch aber leicht Angst macht, löst hier bestenfalls ein leichtes Befremden aus, schlechte Träume macht dieser Film bestimmt nicht. Neben Lynch fühlte ich mich, vor allem wegen des Puppenmotivs, auch an den Sandmann E.T.A. Hoffmanns erinnert; auch dieser Vergleich wird an manchen Stellen geradezu zwingend - allerdings fehlt Bood, Tea & Red String jegliche Düsternis. Ein leichter bzw. leichtverdaulicher Film ist er dennoch nicht, gerade die üppig verwendete Metaphorik des Belebten im Unbelebten, der Verpuppung und (Wieder-)Geburt ist einigermaßen verstörend, zumal der Film keine Interpretationen und keine Erläuterungen anbietet und den Betrachter - höchstabsichtlich und in jeder Hinsicht - im Unklaren lässt.

Was soll ich sagen. Im Grunde fehlen mir die Worte. Kaufen, ansehen, auf die Knie sinken. Ein extrem seltsamer, extrem guter, extrem schöner, extrem liebenswerter Film. Leider ist er äußerst schwer zu bekommen aber das ist mit außergewöhnlichen Filmen nun einmal so.

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